Sechster Auftritt


[49] Gräfin. Baculus.


GRÄFIN. Einen Augenblick, Herr Schulmeister, ich bin gleich wieder hier. Ab in ihr Zimmer.[49]

BACULUS allein. Nun, lieber Gott, bitte ich dich, laß einen armen Schlucker nicht im Stich. Zieht einen Zettel hervor. Mein Freund Pancratius hat in der Geschwindigkeit aus dem Zimmer der Frau Gräfin das Komödienbuch wegstibitzt, und ich habe mir daraus einige Redensarten auf ein Zettelchen notiert; gebe Gott, daß ich mich damit nicht blamiere. Courage, Sebastian, es handelt sich hier um Amt und Brot! – Sie kommt. Aufgepaßt und ihr gleich eine faustdicke Phrase ins Gesicht geworfen.

GRÄFIN im Eintreten. Unerklärlich, ich ließ doch das Buch auf dem Tisch liegen.

BACULUS hat den Zettel in den Hut gelegt und hineingesehen, deklamierend.

»Strahl der Sonne, du schönstes Licht,

Das je dieses Thebanervolks –«

GRÄFIN erstaunt. Was höre ich?

BACULUS fortfahrend, nachdem er jedesmal in den Hut gesehen. »Siebentoriger Stadt erschien!«

GRÄFIN. Sie überraschen mich; also kennen Sie dies erhabene Gedicht des grauen Altertums?

BACULUS. Durch und durch, Eure gräflichen Gnaden, durch und durch.

GRÄFIN setzt sich. Oh, Sie entzücken mich, nehmen Sie Platz!

BACULUS setzt sich. Wenn ich es wagen dürfte –

GRÄFIN. Wie freut es mich, einen Lehrer vor mir zu sehen, der die alten Meisterwerke kennt und schätzt. Leider wird dieser Zweig der Wissenschaft in den Schulen so gänzlich vernachlässigt.

BACULUS. Oh, es ist abscheulich; aber ich versichere Euer Gnaden, daß in meiner Schule –

GRÄFIN. Wie, Sie kultivieren diese Wissenschaft?

BACULUS. Tagtäglich. Morgens Abc, nachmittags Sophokles.

GRÄFIN. Oh, Sie sind mir von Gott gesendet!

BACULUS. Wenn ich eine untertänige Bitte –

GRÄFIN. So sind Sie ohne Zweifel auch vertraut mit der Einrichtung der griechischen Schaubühne?

BACULUS beiseite. O weh! Laut. Ich habe zwar noch keine gesehen, aber doch viel davon gehört –[50] Gräfin. Und gelesen?

BACULUS. Versteht sich, gelesen.

GRÄFIN. Herrlich! Also Ihre Meinung? Ich bin nämlich wegen des Arrangements der Bühne zur Vorstellung, welche zu Ehren des Grafen morgen abend statt-findet, noch etwas im Zweifel. Stand der Altar mehr nach hinten oder in der Mitte der Orchestra?

BACULUS konfus. Wo drin?

GRÄFIN. Ich frage Sie, ob der Altar des Bacchus in der Mitte stand?

BACULUS. Wahrscheinlich; allerdings. Ich würde ihn jedenfalls in die Mitte setzen.

GRÄFIN. Ganz meine Ansicht. Und – nicht wahr – drei Türen im Hintergrunde?

BACULUS. Versteht sich, auch in die Mitte.

GRÄFIN. Wie? Die Seitentüren auch?

BACULUS. Alles in die Mitte, das ist altgriechisch.

GRÄFIN beiseite. Der Mann ist wirklich nicht uninteressant.

BACULUS beiseite. Wenn ich nur erst mit meinem Anliegen zustande kommen könnte!

GRÄFIN laut. Nun aber ein Übelstand: wir haben keinen Chor.

BACULUS. Wenn ich untertänigst meine Schuljugend offerieren dürfte –

GRÄFIN. Sie scherzen – Kinder!

BACULUS. Es befinden sich schon passable Pflanzen darunter.

GRÄFIN. So sind ihnen doch immer diese Chöre unbekannt. Wie erhebend ist gleich der erste: »Strahl der Sonne, du schönstes Licht« und so weiter.

BACULUS. Vielleicht ließe sich statt dessen der schöne Choral verwenden: »Wie schön leucht't uns der Morgenstern.«

GRÄFIN. Doch wohl nicht, Herr Schulmeister; ich weiß keinen andern Ausweg, als das Ganze melodramatisch zu behandeln.

BACULUS. Auch sehr gut, sehr zweckmäßig.

GRÄFIN. Ich hoffe, durch diese Vorstellung den Grafen ganz für die griechische Tragödie zu gewinnen.[51]

BACULUS hat in den Hut gesehen. »Dann lernt er wohl noch weise zu werden im Alter.«

GRÄFIN. Gar nicht übel! Beiseite. Der Mann hat auch Witz.

BACULUS beiseite. Ich mache meine Sache ja prächtig! Laut. Wenn ich es jetzt wagen dürfte, Euer Gnaden Gnade in Anspruch zu nehmen, so –


Quelle:
Albert Lortzing: Der Wildschütz oder Die Stimme der Natur. Nach Kotzebue frei bearbeitet, Stuttgart 1969, S. 49-52.
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